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Zum Weltdrogentag: Expert_innen fordern von der Politik, die Angebote für Menschen mit Suchterkrankungen zu stärken

Drei Tage vor dem Weltdrogentag fand am 24. Juni in Berlin die Tagung „Jugend – Cannabis – Prävention: Jugendhilfe und Suchthilfe im Dialog“ statt. Gemeinsam mit seinen Kolleg_innen der Suchthilfe und des Kinder- und Jugendschutzes warnte der Kölner Suchtpsychologe Prof. Dr. Ulrich Frischknecht von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) vor den Gefahren des neuen Cannabisgesetzes. Er forderte von der Politik, Suchthilfe, Jugendschutz und angrenzende Hilfs- und Therapieangebote für Menschen mit Suchterkrankungen zu stärken.

Das vieldiskutierte Cannabisgesetz stellt Jugendschutz und Suchthilfe vor neue Herausforderungen. Die Tagung „Jugend – Cannabis – Prävention: Jugendhilfe und Suchthilfe im Dialog“ am 24. Juni in Berlin brachte Expert_innen aus Suchthilfe und Kinder- und Jugendschutz zusammen, um Probleme und Möglichkeiten der seit dem 1. April 2024 gültigen Cannabisregulierung zu diskutieren. Auf der von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. ausgerichteten Veranstaltung vernetzten sich erstmals auf Bundesebene die Suchthilfe und der Kinder- und Jugendschutz miteinander.

In seinem Vortrag verdeutlichte der Kölner Suchtpsychologe Prof. Dr. Ulrich Frischknecht von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) die Wirkungen und Probleme, die mit Cannabiskonsum verbunden sind: „Es gibt tatsächlich biologische Wirkungen der Droge auf das menschliche Gehirn und dessen wichtige Funktionen“, sagte Frischknecht. Viel häufiger ursächlich für die Probleme von Jugendlichen aber seien biogenetische Besonderheiten und/oder ungünstige Lebens- und Lernerfahrungen. „Die Probleme werden durch Cannabiskonsum und insbesondere durch die Reaktion der Menschen darauf noch verstärkt“, erklärte der Kölner Suchtexperte. So sahen das aktuelle Cannabisgesetz auf diesem Fachtag fast alle Anwesenden kritisch und mahnten dringenden Verbesserungsbedarf an.
 

Cannabisgesetz wirkt für Suchtexperte Frischknecht wie „betrunkenes Herumgetorkele“

„Die Entkriminalisierung ist zwar ein wichtiger Schritt, der mit dem Gesetz gemacht wurde, aber alles andere wirkt wie betrunkenes Herumgetorkele“, sagte Frischknecht. Für ihn ist es unbegreiflich, wie man eine solche politische Großwetterlage ungenutzt lassen konnte, um die Suchthilfe, den Jugendschutz und die damit angrenzenden Hilfs- und Therapieangebote für Menschen mit Suchterkrankungen zu stärken. Auch die angekündigte Präventionskampagnen hält er für wenig überzeugend – einerseits sei Aufklärung wichtig, andererseits sei es unverantwortlich, allein auf die Informationskampagnen zu setzen.

„Da passiert meiner Meinung nach ganz viel Stigmatisierung von Menschen mit Suchterkrankungen, denn die Botschaft ist an eine betroffene Person lautet: ‚Wärst du nicht so uninformiert gewesen, hätte es dich mit der Sucht nicht so erwischt – also bist du selbst schuld!‘“, kritisiert Frischknecht. Dabei ist Stigmatisierung bei Suchterkrankungen eine der größten Barrieren für Betroffene, sich des Problems bewusst zu werden und sich entsprechende Hilfe zu suchen. „Es reicht eben meist doch nicht, jetzt nur zu wissen, wie es geht, um sich aus einer Suchterkrankung zu befreien.“

Franziska Schneider von der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in München war bei ihrem Vortrag über Konsumhäufigkeit, Behandlungsnachfrage und Schwarzmarktentwicklung sehr skeptisch, ob mit der aktuellen Regelung der Konsum und der Schwarzmarkt eingedämmt werden können. Sie betonte, dass eine Evaluation zu den Auswirkungen dieses Gesetzes im Prinzip nicht möglich sei, da die verfügbaren Daten uneinheitlich seien und es keine sinnvolle Vergleichsgruppe gäbe.
 

Schülersprecher kritisiert mangelnden Jugendschutz und Leistungsdruck in der Schule

In der folgenden Podiumsdiskussion berichtete ein Schülersprecher aus dem Alltag der Schüler_innen und Jugendlichen. Für ihn setze das Gesetz eindeutige Konsumanreize und verleite die über 18-Jährigen zum Aufbessern ihres Taschengelds durch die illegale Weitergabe von Cannabis. Er betonte, dass diejenigen, die mit dem Kiffen ein Problem hätten, bereits vor dem Kiffen ein Problem gehabt hätten. Außerdem verwies er darauf, dass auch bei den Vapes, den Nikotinverdampfern, der Jugendschutz kaum funktioniere. Zudem machte er den steigenden Leistungsdruck bei Schüler_innen für eine Tendenz zu ungesundem Verhalten verantwortlich.

Dr. Christine Erbel von den Rheinisch-Westfälischen Elternkreise drogengefährdeter und abhängiger Menschen e.V. in NRW forderte, dass die Strukturen der Beschulung überarbeitet werden und der Stress für Kinder und Jugendliche an deren Unterschiedlichkeit angepasst werden. Auch Frischknecht erkennt hier einen wichtigen Punkt: „Wenn wir Vielfalt – wie sie ja in aller Munde ist – wirklich lebendig werden lassen wollen, kann es nicht sein, dass es gerade bei Jugendlichen, die so unterschiedlich in ihren Entwicklungs- und Fähigkeitsständen sind, immer nur einen Maßstab gibt. Somit wird aus der gut gemeinten Idee der Gleichbehandlung eine Chancenungleichheit.“

In den World-Cafés der Veranstaltung vernetzten sich Suchthilfe und Jugendhilfe intensiv. Denn obwohl die Suchthilfe und die Jugendhilfe bereits gut kooperieren, gibt es auf operativer Ebene noch Ausbaumöglichkeiten zur Zusammenarbeit. In ihren Abschlussworten kündigten daher Dr. Peter Raiser als auch Maja Wegener als Veranstaltende an, die Tagung als Auftakt für einen besseren Austausch zwischen den beiden Akteursgemeinschaften zu verstehen und in weitere Planung zu gehen.
 

Paradoxes Praxisbeispiel: Gebäudebrandschutz wichtiger als Jugendarbeit

Frischknecht begrüßt diese Aussicht: „Sucht betrifft alle und hat weitreichende Ursachen und Folgen, dass es nicht ausreicht, das Problem auf nur einen Hilfepfeiler – die Suchthilfe – zu verlagern, die zudem noch schlecht mit Ressourcen ausgestattet ist.“ Gerade der Jugendschutz ist in seinen Augen ein wichtiger Verbündeter in der Prävention von Suchtproblemen, da Sucht oft im Jugendalter beginne. Auch fänden Jugendliche im Vergleich zu Kindern oft zu wenige, auf ihre Bedarfe angepasste Angebote. So hinterließ beim informellen Austausch insbesondere eine Bemerkung einen bitteren Beigeschmack. Frischknecht: „Ein Teilnehmer meinte, er hatte erfolgreiche Angebote der Jugendarbeit einstellen müssen, weil der Gebäudebrandschutz ihm die Fortführung nicht erlaubte. Das ist für mich paradigmatisch: Unsere Gebäude werden oft besser geschützt als unsere Jugendlichen.“

 

Prof. Dr. Ulrich Frischknecht

Kontakt für inhaltliche Fragen

Prof. Dr. Ulrich Frischknecht

Prodekan / Professur für Sucht und Persönlichkeitspsychologie

Köln, Sozialwesen

Katja Brittig

Pressekontakt

Katja Brittig

Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Köln, Dezernat VI - Akademische Angelegenheiten

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