"Antisemitismuserfahrungen der Dritten Generation. Zur Reaktualisierung extremen Traumas bei Nachkommen von Überlebenden der Shoah"
Der Hass auf Jüdinnen und Juden hat eine lange Geschichte und gehört nach wie vor zu den größten Herausforderungen der heutigen Gesellschaft. Historisch bilden die Entstehung des modernen Antisemitismus und seine Kulmination in der Shoah eine entscheidende Zäsur. Auschwitz, die systematische Vernichtung eines Volkes, markiert einen Bruch in der Weltgeschichte, sowohl aufseiten der Wenigen, die wider Erwarten überlebt haben, als auch bei jenen, die „nach Auschwitz“ geboren wurden.
Die Forschung zum Antisemitismus hat sich mit einigem Recht auf die gesellschaftlichen und sozioökonomischen Verhältnisse und – wo auf das individuelle Erleben und Verhalten – auf die Täterseite fokussiert. Gleichzeitig geht damit eine Verengung einher und eine Perspektive auf das Subjekt verloren, das vor dem Hintergrund biographischer Konflikte durch diese Verhältnisse geformt wird, sich mit ihnen auseinandersetzt, sich ihnen widersetzt oder sie sich aneignet. Auf diese deutliche Lücke in der Forschungslandschaft zielt das interdisziplinäre Verbundprojekt mit einer umfassenden, qualitativen Analyse von Antisemitismuserfahrungen und transgenerationaler Reaktualisierung extremen Traumas im heutigen Leben der Dritten Generation, der Enkelinnen und Enkel von Holocaust-Überlebenden.
Das Forschungsdesign umfasst sowohl qualitative als auch quantitative Methoden in unterschiedlichen Settings. Im Zentrum der Erhebung steht die Einrichtung einer gruppenanalytischen Encountergruppe, die durch themenzentrierte psychoanalytische Einzelinterviews sowie psychoanalytische Fallvignetten ergänzt wird. Nachkommen von Überlebenden der Shoah wird in dem gruppenanalytischen Angebot ein Raum eröffnet, über ihre Erfahrungen, Sorgen, Bewältigungs- und Verarbeitungsformen sprechen zu können.
Die multimethodische Auswertung erfolgt in Frankfurt, Münster und Berlin. Dr. Kurt Grünberg (Sigmund-Freud-Institut Frankfurt) fokussiert mit dem „Szenischen Erinnern der Shoah“ eine psychoanalytische Perspektive, in Münster koordiniert Prof. Dr. Sarah Yvonne Brandl (katho) zwei Auswertungsgruppen, eine gruppenanalytische und eine tiefenhermeneutische; und in Berlin führt Prof. Monika Schwarz-Friesel (TU Berlin) eine kognitionslinguistische Analyse durch. Alle Ergebnisse werden triangulierend zusammengeführt, tragen zur Grundlagenforschung bei und sollen zugleich in Fortbildungen von psychosozialen Fachkräften und in politische Bildungsmaßnahmen einfließen.
Text: Simon Arnold und Yvonne Brandl
PROJEKTBETEILIGTE
Simon Arnold (SFI Frankfurt)
Prof. Dr. Sarah Yvonne Brandl (katho, Standort Münster)
Lena Dierker (SFI Frankfurt)
Dr. Kurt Grünberg (SFI Frankfurt)
Sarah Hinckers (katho, Standort Münster)
Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel (TU Berlin)
Matilda Urban (SFI Frankfurt)
Markus Weiß (TU Berlin)
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Prof'in Dr. Yvonne Brandl
Professorin
Münster, Sozialwesen