CARS veröffentlicht Working Paper #008 von Marlene Gallner
Jean Améry war einer der ersten, die im deutschsprachigen Raum den linken Antisemitismus und Antizionismus kritisierten. Seine ursprünglich zwischen 1966 und 1978 verfassten Essays sind heute jedoch so unbekannt, dass er mittlerweile als Stichwortgeber für einen allgemeinen Menschenrechts- und Genoziddiskurs fungiert, der die Spezifik des Nationalsozialismus und der Shoah ausblendet. Dabei zeigt Améry in seinen Schriften, was es heißt, den kategorischen Imperativ Adornos, „Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“, ernst zu nehmen – nicht zuletzt, weil er selbst als jüdischer Häftling nur durch Zufall den nationalsozialistischen Todesfabriken entronnen war.
Hellsichtig kritisierte er vor einem halben Jahrhundert den neuen Antisemitismus, der seinen Namen nicht nennt, und die neuen Antisemiten, die sich durch die vehemente Abwehr des Vorwurfs, Antisemiten zu sein, auszeichnen. Neben der Verquickung vom Hass auf die Juden und dem Hass auf ihren Staat, spricht Améry ebenfalls als einer der ersten offen über den islamischen Antisemitismus, den große Teile der Linken bereitwillig in Kauf nehmen. Amérys Analysen des linken Selbstverrats sind heute aktueller denn je.
Die Autorin
Marlene Gallner ist die Herausgeberin von Jean Améry. Essays on Antisemitism, Anti-Zionism, and the Left, Bloomington: Indiana University Press (2022). Sie lebt in Wien und ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift sans phrase. Zuletzt erschienen: Die Deutschen als Vernichtungsgewinner. Ein Vortrag und zwei Nachträge über die positive Einverleibung der Shoah. In: sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik (2021); Die klassische Aufklärung, eine optische Täuschung? Jean Améry und Theodor W. Adorno über Aufklärung und Moderne. In: Dvořák, Johann/Gruber, Alex/Ruttner, Florian (Hrsg.): Unabgegoltene Hoffnung. Kritische Theorie, Moderne und Ästhetik, Wien (2021).