Deutschland im Hintertreffen: Erste europäische Studie zur Ausbildung in der Suchthilfe erschienen
Die jetzt im Fachblatt „European Addiction Research“ veröffentlichte Studie der Europäischen Föderation der Suchtfachgesellschaften (EUFAS) zeigt, dass die Ausbildung für Suchtspezialist_innen europaweit sehr unterschiedlich gestaltet ist. So existiert eine offiziell anerkannte, spezialisierte suchtpsychologische Ausbildung in 17 der 24 untersuchten Länder. In diesen 17 Ländern gab es jedoch große Unterschiede: Während in Deutschland die Zusatzqualifikation „Suchtmedizin“ bereits nach einigen Wochenendkursen erlangt werden kann, gibt es beispielsweise in Norwegen hierfür einen eigenen Facharztstandard. Für die Ausbildung von psychologischen Psychotherapeut_innen sind in Deutschland noch weniger Standards vorgesehen, da laut Gesamt-Curriculum zur Psychotherapie formal gar kein Seminar notwendig ist – in der Praxis ist zumindest oft ein Wochenendseminar zum Thema Sucht enthalten.
Nur zwei Vollzeit-Professuren für Suchtmedizin in Deutschland
Diese Ausbildungsstandards sind in vielen anderen europäischen Ländern deutlich höher, etwa in Kroatien, Griechenland oder eben Norwegen. „Allein die Tatsache, dass es in ganz Deutschland nur zwei Vollzeit-Professuren für Suchtmedizin gibt, in Frankreich hingegen 23, belegt, dass hierzulande die Strukturen in der Suchtmedizin und der Suchtpsychologie denen in anderen medizinischen Bereichen deutlich nachstehen“, sagt Prof. Dr. Ulrich Frischknecht vom Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho), der an der Studie beteiligt war. Das erfüllt Frischknecht mit Blick auf die Cannabis-Legalisierung mit Sorge: „Im Gesetz sind die Finanzierung für die Suchtprävention, -hilfe und -forschung, aber auch die Einhaltung des Jugendschutzes nicht sicher verankert“, erklärt der Psychologe, „das stellt die Suchthilfe und vermutlich bald die Jugendämter vor weitere Herausforderungen, die bereits jetzt mit den Folgen der legalen Drogen Tabak und Alkohol zu kämpfen haben.“
Auch seien in anderen Medizingebieten die internationalen Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weit verbreitet, so der Suchtexperte: „Aber gerade bei den Suchterkrankungen, die für die Betroffenen, deren Kinder und Angehörige, für Wirtschaft und Gesellschaft mit massiven Folgekosten verbundenen sind, scheinen die Interessen derer, die am Suchtmittelkonsum verdienen, deutlich zu dominieren.“ Frischknecht spricht sich zwar für eine Entkriminalisierung von Cannabis aus, jedoch nicht für eine Legalisierung, die mittelfristig einen zusätzlichen Konsummarkt eröffnet.
In der Suchthilfe finden WHO-Standards kaum Anwendung
Die WHO hat wichtige Standards zu Prävention, Diagnostik und Behandlung von psychischen Störungen wie Suchterkrankungen erarbeitet. Der wissenschaftsbasierten Forschung sind eine Vielzahl von medizinischen, psychologischen und sozialen Maßnahmen bekannt, wie man Suchtprobleme verhindern, abmildern oder sogar beheben kann. Diese so genannte Evidenzbasierung ist in nationalen und internationalen Leitlinien niedergeschrieben und sollte in einer teuren medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung Berücksichtigung finden, um hier kosteneffizient eine gute Gesundheitsförderung und Krankenversorgung zu gewährleisten. In Deutschland jedoch findet die Evidenzbasierung in der Praxis der Suchthilfe keine oder wenig Anwendung, da wie überall zunächst gut ausgebildete Fachkräfte notwendig sind.
Fachkräfte der Sozialen Arbeit stemmen einen Großteil der Suchthilfe
Die Studie ist der Anfang einer Reihe von Folgestudien, da die Suchthilfe auch in vielen europäischen Ländern heterogen und damit für die Betroffenen, aber auch für die Expert_innen nicht leicht zu überblicken ist. So wurde in der aktuellen Studie beispielsweise die Rolle der Sozialen Arbeit gar nicht untersucht. Aber insbesondere in Deutschland stemmen Fachkräfte der Sozialen Arbeit einen Großteil der Suchthilfe. „Daher sollten wir diese Berufsgruppe und deren Ausbildung in wissenschaftlich fundierten Verfahren in Zukunft fest in den Blick nehmen“, fordert Frischknecht.
Weitere Infos zur Studie:
Zur Studie: Jørgen G. Bramnessa, Marja Leonhardt, Geert Dome Albert Batallaf, Gerardo Flórez Menéndez, Karl Mann, Friedrich Martin Wurst, Marcin Wojnar, Colin Drummond, Emanuele Scafato, Antoni Gual, Cristina Maria Ribeiro, Olivier Cottencin, Ulrich Frischknecht, Benjamin Rolland (2023): Education and Training in Addiction Medicine and Psychology across Europe: A EUFAS Survey. European Addiction Research. DOI: 10.1159/000531502.
Zur Person:
Ulrich Frischknecht ist Professur für Sucht und Persönlichkeitspsychologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) am Standort Köln und am Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP). Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Sucht und Persönlichkeitspsychologie.
Kontakt bei inhaltlichen Fragen
Prof. Dr. Ulrich Frischknecht
Prodekan / Professur für Sucht und Persönlichkeitspsychologie
R306, Sozialwesen
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Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Köln, Dezernat VI - Akademische Angelegenheiten