Islamischen Antisemitismus zum Thema machen: Dr. Matthias Küntzel referierte auf Einladung des CARS
Wie spannungsgeladen die Thematik „Islamischer Antisemitismus“ sein kann, wurde bereits im Vorfeld der Veranstaltung deutlich: Man habe wohl die Absicht, antimuslimischen Rassismus zu befeuern, wurde in den Raum gestellt.
Diesen Vorwurf räumte Prof. Dr. Martin Spetsmann-Kunkel, Dekan am Standort Aachen und Leiter des CARS, in seinem Grußwort deutlich aus: Das CARS habe weder die Ambition, Muslime pauschal unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, noch wolle es suggerieren, dass Antisemitismus vornehmlich eine Ausprägung islamischer Kultur sei. Es sei dem Centrum jedoch ein Anliegen, jegliche Formen von Antisemitismus – vor allem auch solche des modernen Antisemitismus – zur Diskussion zu stellen.
In seinem Vortrag machte der renommierte Politikwissenschaftler und Historiker Dr. Matthias Küntzel dementsprechend deutlich, dass sich die Begrifflichkeit „Islamischer Antisemitismus“ nicht pauschal auf den Islam oder auf die Muslime beziehe, sondern dass es sich hierbei um eine spezifische Ausprägung des Judenhasses handele. Dieser speise sich im Wesentlichen aus zwei Komponenten: dem religiös motivierten, islamischen Antijudaismus und dem modernen Antisemitismus, der seinerzeit gezielt von den Nazis exportiert wurde.
Ein Kennzeichen des islamischen Antisemitismus sei unter anderem die Symbiose zweier sich diametral entgegenstehender Stereotype: Das aus dem Christentum tradierte Bild des übermächtigen Juden und das des aus dem Islam stammende Klischee des schwachen, sich ängstlich versteckenden Juden. Verschmelzungen beider Konstrukte fänden sich beispielsweise in der Charta der HAMAS wieder.
Wie bereits in seiner Buchpublikation „Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand“ (2019) erläuterte Küntzel, dass die deutschen Nationalsozialisten den tradierten, religiös motivierten Antisemitismus in der arabischen Welt nutzten, um ihre Botschaft auch in der muslimischen Welt zu verankern. Für die Propaganda wurden hierfür Druckschriften wie die Broschüre „Islam und Judentum“ sowie ein Radiosender aus dem brandenburgischen Zeesen genutzt, der von 1939-1945 judenfeindliche Berichterstattung auf Arabisch, Persisch und Türkisch in die muslimische Welt sendete.
Diese eher kurzzeitige Begegnung mit der NS-Ideologie habe die arabische Welt langfristig verändert, erklärt Küntzel. So habe eine weltweit durchgeführte Studie der Anti-Defamation-League ermittelt, dass im Nahen Osten und in Nordafrika 75 Prozent der befragten Musliminnen und Muslime antisemitischen Äußerungen zustimmten, während es bei Muslimen in Asien, wohin die Radiowellen aus Zeesen nie gelangten, 37 Prozent und im Durchschnitt der Weltbevölkerung nur 26 Prozent wären.
In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um die Frage, wie die neue Bundesregierung dem Antisemitismus Einhalt gewähren könne. Viele Diskussionsteilnehmer_innen vertraten in ihren Beiträgen die Auffassung, dass die Bedeutung und das Konfliktpotenzial des „Islamischen Antisemitismus“ in Deutschland unterschätzt werden.
In der Diskussion stellte sich auch die Frage, welche Handlungskompetenzen für einen bedachten Umgang mit der Thematik erforderlich seien und welche Anregung Matthias Küntzel Sozialarbeiter_innen in ihrem Berufsfeld geben könne. Laut Küntzel hätten Sozialarbeiter_innen oftmals direkten Einblick in die sozialen Ausgangspunkte, in denen Antisemitismus entstehen kann. Der adäquate Umgang mit Antisemitismus hänge dabei grundsätzlich stark von der jeweiligen Ausbildung der Sozialarbeiter_innen ab. Grundsätzlich sei es wichtig, dass man einerseits – im Sinne der Beziehungsarbeit – das Vertrauen der Adressat_innen erhalte, sich gleichzeitig aber auch klar positionieren und von antisemitischen Äußerungen abgrenzen müsse.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Joachim Söder, Prodekan an der katho am Standort Aachen. Er schloss die Veranstaltung mit den Worten, dass über ein heikles Thema gesprochen wurde, das nicht nur unter die Haut gehe, sondern auch wehtue, weil es einem nahe rückt. Es sei gelungen, hierüber in sachlicher und differenzierter Weise zu diskutieren.
Die nächste hybride Veranstaltung des CARS findet am 17. Februar 2022 um 17.00 Uhr statt. Hier werden Alex Feuerherdt und Florian Markl über „Die Israel-Boykottbewegung: Alter Hass in neuem Gewand“ sprechen.
Martin Spetsmann-Kunkel (Dekan am Standort Aachen und Leiter des CARS)
Adriana Thelen