Menschen in Armut sterben früher
Was bedeutet es für einen Menschen und seine Angehörigen, wenn er/sie pflegebedürftig wird?
Martina Küpper-Quadvlieg ist gelernte Krankenschwester sowie studierte Sozialarbeiterin und leitet heute den Sozialdienst eines Krankenhauses in der StädteRegion Aachen. Sie hielt den Auftaktvortrag zum Thementag an der katho in Aachen, Titel ihres Vortrags war: Von Pflege betroffen - von Armut bedroht? Direkt zu Beginn der Veranstaltung fragte sie die Anwesenden, wie viel Prozent der pflegebedürftigen Menschen zu Hause gepflegt werden. Die Angaben aus dem Publikum differierten sehr, aber nur wenige näherten sich der tatsächlichen Zahl an: 85 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt.
Müller-Quadvlieg stieg schnell tief in die Thematik ein, ließ Beispiele aus ihrer beruflichen Praxis im Sozialdienst einfließen und machte klar, dass sich nicht nur das Leben für die pflegebedürftigen Menschen selbst, sondern auch für ihre Angehörigen/Zugehörigen ändert: In der Regel reduzieren die Pflegepersonen, wenn sie vorher berufstätig waren, den Stundenumfang ihrer Beschäftigung oder arbeiten gar nicht mehr. Sie zahlen somit auch weniger oder zeitweise nichts auf ihr Rentenkonto ein. Der Weg in die eigene Altersarmut ist vorprogrammiert. Ein steigender Anteil an pflegebedürftigen Menschen kann demnach mit einer stärkeren Verarmung der nachfolgenden Generationen einhergehen.
Diese Gefahr benannte auch Claudia Middendorf, Patienten- und Behindertenbeauftragte des Landes NRW, in ihrem Vortrag. Sie forderte eine deutlichere Anerkennung und Unterstützung der pflegenden An- und Zugehörigen, finanziell sowie durch Entlastungsangebote. Andernfalls befürchtet sie ein sinkendes Vertrauen in das soziale System der Bundesrepublik und damit einhergehend eine Stärkung der politischen Ränder.
Aber welche Wege kann es geben?
„Wir müssen zwangsläufig neue Ideen entwickeln“, sagte Dr. Michael Ziemons, Sozial- und Gesundheitsdezernent der StädteRegion Aachen in der anschließenden Podiumsdiskussion. Denn selbst wenn es mehr stationäre Pflegeplätze geben würde, die die Angehörigen entlasten könnten, es gäbe – so seine Aussage – nicht das Personal, um diese zu betreiben.
Caring Community ist hier das neue „Lösungswort“: Menschen sollen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben können. Ermöglicht werden soll das durch ein systematisches Zusammenspiel von Pflegediensten, Quartiersmanagement, Arztpraxen und Ehrenamtler_innen. Ein Netzwerk, welches Angehörige entlastet, so dass z.B. Ehrenamtler_innen die Erkrankten zu Arztbesuchen begleiten oder anderweitig Unterstützung im Haushalt anbieten. Was heute in vielen Fällen auf privaten Zuruf passiert, soll zielgerichtet organisiert und durch die Kommunen institutionalisiert werden. Eine Mammutaufgabe für die Kommunen, die aber auch ein erklärtes Interesse daran haben, dass die Menschen länger zu Hause gepflegt werden, denn: Ihnen fehlt nicht nur – wie beschrieben – das Personal, um ausreichend stationäre Pflegeplätze zur Verfügung zu stellen, sie müssen als Sozialhilfeträger oftmals auch die Kosten für die vollstationäre Pflege übernehmen, da kaum eine Rente samt Ersparten einer pflegebedürftigen Person dauerhaft reicht, um einen Pflegeplatz von mehreren Tausend Euro pro Monat über Jahre selbst zu finanzieren. Die Pflegekasse zahlt nur einen Bruchteil.
Auf die Kommunen und die Gesellschaft komme mit Blick auf die starke Generation der Babyboomer einiges zu, das prophezeite Michael Ziemons, als er am Ende der Podiumsdiskussion sinngemäß sagte, dass wir aktuell – bei aller Kritik – noch in goldenen Zeiten leben, das dürfte/sollte uns in einigen Jahren klar werden.