Vortrag von Dr. Ismail Küpeli: "Ein Lackmustest für Demokratie und Vielfalt in Deutschland"
Türkischer Nationalismus, stellt der Politologe zu Beginn klar, sei kein Randthema, sondern integrativer Teil unserer deutschen Gesellschaft – und gerade für die Sozial- und Jugendarbeit relevant. Erst vor wenigen Jahren habe die Thematik und die Frage, inwieweit der türkische Nationalismus eine Gefahr für die Demokratie und die vielfältige Gesellschaft darstellt, Eingang in die Forschung gefunden – ein überfälliger Schritt, kritisiert Küpeli. Die mediale Indifferenz, die das Thema lange Zeit erfuhr, werde erst in den letzten Jahren zunehmend aufgebrochen.
Um den spezifischen Charakter des türkischen Nationalismus und die besondere Rolle der Religion im Kontext seiner Entstehung herauszustellen, verwendet Küpeli den Begriff der „türkisch-islamischen Ideologie“. In seinen Ursprüngen, erklärt Küpeli, sei der heutige Nationalismus aus einer politischen Bewegung heraus entstanden, die um das Jahr 1908 das Ziel hatte, das multiethnische, multireligiöse osmanische Reich in einen türkischen Nationalstaat zu transferieren.
Für die Herausbildung einer nationalen Gemeinschaft wurde hierbei die Abgrenzung gegenüber inneren und äußeren Feinden als nötig erachtet und eine Kategorisierung von Personengruppen mit einer Zuschreibung unterschiedlicher Wertigkeiten vorgenommen, bei der der Religion eine nachdrückliche Rolle zukam: Die zu bildende Staatsnation sollte vorrangig aus muslimischen Türken bestehen; andere, nichttürkische Muslime sollten nach Möglichkeit „türkisiert“ werden, und Nichtmuslime wurden von vornherein als weder assimilierungsfähig noch assimierungswürdig erachtet – mit der Konsequenz, dass diese Drittgruppierten systematisch Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt waren.
Zur Legitimierung dieser Verfahren wurden laut Küpeli unterschiedlichste Verschwörungsnarrative propagiert: Die Verbündung mit dem Feind und das Agieren gegen nationale Interessen aus dem Hintergrund heraus - versteckt als so genannter „Dönme“; als Krypto-Jude, der vorgibt, Muslim zu sein, und in Wahrheit die Geschicke im Hintergrund zu Ungunsten der Muslime leitet.
Als gemeinsames Merkmal dieser verschiedenen Verschwörungsideologien konstatiert Küpeli in erster Linie die Annahme einer welthistorischen Bedeutung der türkischen Nation, zweitens die Feststellung einer Diskrepanz zwischen dieser Bedeutung und der tatsächlichen Situation, und drittens die Vorstellung bzw. Behauptung, eine Mangellage sei das Ergebnis einer Verschwörung von inneren und äußeren Feinden. Nichtmuslime, vor allem Juden, seien dabei verantwortlich für die realen (und fiktiven) Probleme des türkischen Nationalstaates.
Von den rechten Intellektuellen, die diesen Ansatz propagieren wollten, wurde diesbezüglich in den 1970er Jahren der Begriff der „türkisch-islamischen Synthese“ geprägt; die Herleitung einer Ideologie, die die Zusammengehörigkeit von „türkisch sein“ und „islamisch sein“ beschreibt. Dieser Begriff wurde anschließend von der Fachwissenschaft übernommen. Durch kulturelle Veranstaltungen, z.B. in Theaterstücken, wurde der Islamismus in dieser Epoche als kämpferischer Vertreter für Werte und Traditionen der türkischen Nation inszeniert. In diesem Kontext sei erneut verstärkt auf antisemitische Ressentiments zurückgegriffen worden: Hinter dem Juden stecke beispielsweise die Verwestlichung, der Kommunismus und anderes; die einzige Rettung für das Türkentum sei ein gewaltbereiter Islamismus, der gegen alle inneren und äußeren Feinde kämpfe. Diese Darstellungen müssten durchaus als Handlungsanweisungen verstanden werden; man solle sich für den Islam einsetzen, für ihn kämpfen. Verbunden werde dieser auffordernde Charakter mit einer offenen Bildsprache, beispielsweise mit der Darstellung von Märtyrern, die die Aufforderung an die Nation transportierten, sich ähnlich militant zu zeigen.
Diese Inszenierung türkisch-islamischer Ideologie wirke bis heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen bis hin in die Schulen nach. Spätestens mit dem Militärputsch 1980 sei sie auch als Staatsideologie übernommen und durch die DITIB - den größten Moscheeverband Deutschlands - nach Deutschland transponiert worden. In Einklang mit der türkisch-nationalen Ideologie werde in Kulturveranstaltungen auch hier regelmäßig versucht, türkische Narrative zu propagieren, zum Beispiel die Leugnung des Genozids an den Armeniern.
Diese Ideologie, der Antisemitismus und der antiarmenische Rassismus seien laut Küpeli in der Türkei aktuell in allen gesellschaftlichen Klassen mehrheitsfähig. In Deutschland hingegen sei dies anders; die Mehrheit sei indifferent bis eher kritisch – es erscheine für türkische Nationalisten in Deutschland daher vorteilhafter, ihre Ideologie und ihre Menschenverachtung anzupassen.
Eine Spielart dieser Strategie der Anpassung sei beispielsweise der Ansatz, offen Kritik an Israel zu äußern – und damit die Juden zu meinen. Diese Art der Judenfeindschaft sei auch in Deutschland teilweise anschlussfähig, und gerade deren etwas neuere Ausprägung als Anti-Israelismus ermögliche den Austausch und die Einigung mit verschiedenen politischen Kräften in Deutschland, sozusagen als Brückenideologie quer über die gesellschaftlichen Gruppen und politischen Lager hinweg. Gerade bei der Bildung von Allianzen mit rechten Akteuren und migrantischen Rechten werde diese Strategie wohl auch in Zukunft funktionieren. Wie wir hier mit dieser menschenverachtenden Ideologie umgehen, sei, warnt Küpeli, ein „Lackmustest dafür, wie stark wir hier für Demokratie, für Vielfalt in Deutschland einstehen“.
Der Referent
Dr. Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Verbundprojekt „Radikalisierung durch Verschwörungsideologien. Auswirkungen auf den sozialen Nahraum als Herausforderung für die Bildungs- und Beratungsarbeit“ (RaisoN)“ an der Universität zu Köln beschäftigt er sich mit politischen und gesellschaftlichen Konflikten in Deutschland. Seine Forschungsschwerpunkte sind nationalistische Ideologien und identitäre Tendenzen – sowohl in den Mehrheitsgesellschaften als auch innerhalb der jeweiligen Minderheiten.
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