„Wer auf der Straße lebt, ist selbst schuld?!"
Dominik Bloh bot beim Thementag Armut und Gesundheit der katho in Aachen einen interessanten Einblick in genau diese Thematik. Er – geboren 1988 – lebte seit seinem 16. Lebensjahr auf der Straße. Obwohl er obdachlos war, ging er weiter zur Schule und machte Abitur. Über seine Zeit als Straßenjunge – fast elf Jahre – hat er das Buch „Palmen aus Stahl“ geschrieben, welches er im Rahmen einer Lesung, die von Prof. Dr. Markus Baum moderiert wurde, dem katho-Publikum vorstellte.
Abitur trotz Wohnungslosikgeit
Er machte sehr deutlich, wie schnell die Abwärtsspirale greift: Keine Adresse = kein Schulplatz. Ein Schulwechsel samt Goodwill eines Direktors waren nötig, damit er sein Abitur machen konnte – obwohl er im Gespräch selbst hervorhob, dass der viel größere Erfolg aus heutiger Sicht darin besteht, die Jahre auf der Straße überlebt zu haben und die Fokussierung des Abiturs letztendlich nur dem neoliberalen Narrativ das Wort redet. Irgendwie wussten in der Schule alle, dass er faktisch wohnungslos war, manchmal roch er mangels Dusche, aber er sprach nicht drüber und die andern auch nicht.
Dunkelziffer der Wohnungslosen hoch
Natürlich gibt es Hilfesysteme, die theoretisch greifen, aber mitunter halt nur theoretisch. Einen sozialrechtlichen Anspruch zu haben, bedeutet nicht zugleich, seine Erfüllung tatsächlich erwirken zu können. Das System weist diesbezüglich verschiedene Hürden auf. So ändert sich etwa die Zuständigkeit, wenn man volljährig wird, dann schiebt die eine Behörde den Fall an die nächste ab. Und dann fällt man zwischenzeitlich wieder durchs Raster. Und nicht zu unterschätzen ist die Scham der betroffenen Personen. Die Quote der verdeckten Wohnungslosigkeit ist groß. Das Aufsuchen einer Behörde oder konkret der Einrichtung für Obdachlose ist das Eingeständnis, dass man obdachlos ist und zu dieser Gruppe von Menschen gehört. Der Schritt ist schwer. Zudem haben die Menschen oftmals vorher Gewalt- und Lügenerfahrungen gemacht, ihr Vertrauen in andere Menschen und deren (gute) Absichten ist erheblich gestört. Das verdeutlicht auch die Geschichte von Dominik Bloh.
Er skizzierte dem Publikum, wie diese Schlafplätze von Obdachloseneinrichtungen aussehen. Und so kommt es, dass Menschen lieber in einem Innenhof allein übernachten als in diesen kommunalen Gemeinschafts-Schlafstätten.
Chance auf neue Wohnung gering
Der Weg zurück in die eigene Wohnung ist schwer, sowohl formal als auch psychisch. Selbst wenn die Miete durch einen kommunalen Träger gezahlt würde, muss man sich eine Wohnungsbesichtigung mit vielen „Konkurrent_innen“ auf dem aktuellen Wohnungsmarkt vorstellen, bei der eine obdachlose Person wahrscheinlich als einzige keine aktuelle Meldeadresse angeben kann. Die Chancen die Wohnung zu erhalten sind gering und so dreht sich die Abwärtsspirale weiter.
Housing First - Wohnungen für Obdachlose
Das Konzept „Housing First", dessen Umsetzung von den Aachener Kommunalpolitiker_innen in Kooperation mit der Caritas Aachen und der WABe e.V. auf den Weg gebracht wurde, setzt genau hier an. Wohnungen sollen explizit für die Zielgruppe der Obdachlosen bereitgestellt werden, begleitet durch sozialarbeiterische Unterstützung.
Privatperson stellte Wohnung zur Verfügung
Das Housing First-Konzept gab es für Dominik Bloh nicht. Er hatte das „Glück“, dass er jemanden kennengelernt hatte, der ihm eine Wohnung samt bezahlter Miete für ein Jahr zur Verfügung stellte – wobei er auch hier in der Lesung darauf hinwies, dass solche karitativen Aktivitäten eben nur die von einzelnen Personen und willkürlich sind und daher ein soziales Netz nicht ersetzten dürfen und können. Anfangs hat er in dieser Wohnung auf dem Boden geschlafen, weiterhin mit Schuhen an, so wie er es auf der Straße gelernt hat. In seinem Buch Unter Palmen aus Stahl schreibt er:
„Für manche klingen zwanzig Quadratmeter klein. Für mich ist es unmöglich, diesen Raum zu füllen. Ich habe einen Tisch, an dem ich schreiben kann, und eine Matratze. Ich habe keinen Kleiderschrank. Alles, was ich habe, trage ich seit einem Jahrzehnt in meiner schwarzen Nike-Tasche. Seit meinem 16. Lebensjahr war ich Couchsurfer, Kurzzeituntermieter, Mietnomade, obdachlos.“
Engagement für Obdachlose: Duschbus in Hamburg
Seine Zeit auf der Straße hat er nicht nur schriftlich festgehalten, sondern engagiert sich weiterhin für obdachlose Menschen und hat Kontakte zu kommunalen Trägern, die er berät. Für sein Projekt „Go Banyo“ – ein Duschbus für Obdachlose in Hamburg erhielt er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz.
Die Menschen auf der Straße haben ein Hygienebedürfnis wie andere auch. Der Duschbus fährt dorthin, wo die Menschen sind, die ihn brauchen. Neben einer Dusche in Privatsphäre gibt es bei Bedarf ein persönliches Gespräch.
Saubere Sanitäranlagen – so steht es auf der Webseite von Go Banyo – „gehören zu den wichtigsten gesundheitssystemischen Standards der heutigen Zeit. Wo diese fehlen, häufen sich Krankheiten, wie Pest, Krätze, Cholera und weitere lebensbedrohliche Folgekrankheiten. Eine verschmutzte Wunde kann tödlich enden. Das ist auf der Straße keine Übertreibung, sondern Realität. Nicht selten führen einfache Wunden zu Sepsen.“ (https://gobanyo.org/)
Und hier schließt sich der Kreis zu unserer Ausgangsfragestellung der Themenwoche: Der Zusammenhang von Armut und Gesundheit.