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Lehrberechtigung für Prof. Dr. Maik Wunder: „Wir stehen der Welt nicht gegenüber, sondern mitten in ihr“

Es dreht sich nicht alles um den Menschen – davon ist Prof. Dr. Maik Wunder von der katho überzeugt und zog daraus Schlüsse für die Bildungswissenschaft. Für seine Habilitationsschrift erhielt er jetzt seine Lehrberechtigung, die Venia Legendi.

Prof. Dr. Katharina Walgenbach und Dekan Prof. Dr. Peter Risthaus verleihen Prof. Dr. Maik Wunder (Mitte) die Venia Legendi. (Foto:FernUni Hagen)

Auf den ersten Blick wirkt Prof. Dr. Maik Wunders theoretischer Ansatz fast spirituell: „Ich vertrete neo-materialistische Konzepte, die davon ausgehen, dass grundsätzlich auch Materie handlungsfähig ist. Nicht nur Menschen handeln, sondern auch Dinge.“ Hinter dem sprachlichen Bild steckt harte Wissenschaft: Seit Mitte der 1990er Jahre stellt die neo-materialistische Strömung die alleinige Schlüsselrolle des Menschen infrage, räumt mit klassisch „anthropozentrischem“ Denken auf. Mit einer Frage verdeutlicht der Bildungswissenschaftler Maik Wunder, wie viel Wirkung Gegenstände tatsächlich haben: „Kriegen Sie Schweißausbrüche, wenn Sie denken, dass Sie Ihr Handy vergessen haben? Schalten Sie es einfach mal aus. Was macht das mit Ihnen?“

Dinge und Menschen entstehen aus einer Verschränkung. Smartphones sind ein Paradebeispiel dafür: Ihre Nutzung hat sich längst in die menschliche Hirnstruktur eingebrannt, manche sehen in ihnen gar Cyborg-Körperteile. Angesichts solcher Wechselwirkungen zwischen Materie und Menschen möchte Wunder wissen: „Was bedeutet das für die Pädagogik?“ Für seine Forschung zum Thema verlieh ihm die Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität Hagen jetzt die Venia Legendi. Der Titel seiner Habilitationsschrift: „Bildung als Diffraktion – Neu-materialistische Perspektivierung der materialistischen Pädagogik“.

Quantensprünge und Bildung

Um seine neo-materialistische Theorie zu stützen, zieht Wunder unter anderem die Quantenphysik als Vergleichspunkt heran – etwa die Messungen des dänischen Physikers Niels Bohr, der 1922 den Nobelpreis für seine Untersuchung von Atomstrukturen und Strahlung erhielt. Wunder argumentiert hier mit der komplexen Beziehung zwischen Messgegenstand und messender Person, die er als dynamischen Prozess versteht: „Beide lassen sich gar nicht voneinander trennen, sondern sind miteinander verschränkt.“ Das überträgt Wunder auf Bildungsprozesse, die er ebenfalls als verschränkt auffasst. Anders als im humanistischen Bildungsideal ist der Mensch nicht die einzig treibende Kraft: „Der Mensch eignet sich nicht einfach nur die Welt an“, bricht Wunder herunter, „wir stehen der Welt nicht gegenüber, sondern mitten in ihr.“

Wer bin ich bei TikTok?

Aktuelle Beispiele findet der Forscher im Bereich der Künstlichen Intelligenz: „Es gibt Deep-Learning-Systeme, die sich meinen Eingaben anpassen und mir wiederum Lernvorschläge machen. Ich bringe das Instrument hervor, aber das Instrument bringt auch mich hervor.“ In Bildungsprozessen sollte diese Verflechtung stärker berücksichtigt werden – etwa in der Schule. „Es geht nicht darum etwas mit oder über Medien zu lernen, sondern im Medium“, findet der Forscher und stellt Erfahrungen ins Zentrum seiner Überlegung: „Wer bin ich, wenn ich TikTok nutze? Und wer bin ich, wenn ich ein Buch lese?“ Mithin hält er Ideen wie Meditationsunterricht oder die Nutzung von Virtual-Reality-Technik für sinnvoll, wenn sie das Bewusstsein für den eigenen Zustand schärfen. „Wir müssen uns darüber gewahr werden, wer wir in der Welt sind. Das ist nichts, was hinterher in Prüfungen abgefragt werden kann, sondern eher Teil der Schulkultur, eine ethische Metaebene.“

Der Mensch steht nicht alleine da

Ein solches Selbstverständnis würde in seiner Wirkung letztendlich über Schule und Beruf hinausgehen. Zum Beispiel könnte es auch das Bewusstsein angesichts der gewaltigen ökologischen Umbrüche justieren: „Wir haben eine Menge Gefährt_innen um uns auf der Erde – egal ob biologisch oder auf Silizium-Basis“, erinnert Wunder. „Maschinen werden Teil der Antwort auf den Klimawandel sein, weil wir immer mehr mit ihnen verschränkt sind. Und zugleich sind sie auch Teil des Problems.“ Die post-humanistische Erkenntnis, dass der Mensch nicht das alleinige A und O ist, entbinde ihn zwar keinesfalls von seiner Verantwortung, verteile sie jedoch. Ist dieser Machtverlust nicht auch beunruhigend? „Man kann das pessimistisch lesen“, urteilt der Forscher, „aber auch als eine Art Befreiungsstory. Es klebt nicht alles an uns. Wir sind Teil und Beteiligte. Das entspannt natürlich auch.“

Bericht: Benedikt Reuse, FernUni Hagen
 

Prof. Dr. habil. Maik Wunder

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