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Beraten lernen mit KI?

Wer Menschen professionell beraten und begleiten will, braucht gute Kompetenzen in Gesprächsführung und Kommunikation. Können Studierende diese mit einem KI-gesteuerten Avatar erlernen, der die Rolle eines Klienten oder einer Klientin übernimmt?

Prof. Dr. Ulrich Feeser-Lichterfeld stellt dem Auditorium in der Stadtbibliothek das Projekt vor.

Ein Besucher der Veranstaltung (links im Bild) übernimmt die Rolle des Beraters, angeleitet von Marvin Hackfort (rechts daneben); im Hintergrund der Avatar Felix.

Prof. Dr. Johannes Jungbauer, Marvin Hackfort und Prof. Dr. Ulrich Feeser-Lichtefeld im Gespräch mit dem Publikum. Alle Bilder: Dr. Annett Giercke-Ungermann

Ist KI hierzu überhaupt in der Lage? Und nicht zuletzt: Unter welchen Voraussetzungen können KI-Avatare gewinnbringend in Lehre und Weiterbildung eingesetzt werden, und welche Risiken wären dabei zu beachten?

Das waren Fragen eines Werkstattgesprächs, welches die katho am 20. Mai im Rahmen der von der RWTH organisierten Aachener KI-Woche in der Stadtbibliothek Aachen durchgeführt hat. Das mit rund 40 Personen erfreulich große Publikum in der Stadtbibliothek war dabei sehr gemischt, interessierte Bürger_innen, aber auch Studierende und Mitarbeitende aus der katho.

Ein Werkstattgespräch zur kritischen Reflexion und Perspektivwechsel

Prof. Dr. Ulrich Feeser-Lichterfeld, Prof. Dr. Johannes Jungbauer sowie Marvin Hackfort vom DLSC-Team stellten das von ihnen geleitete Projekt vor, welches sich aktuell in einer frühen, aber bereits inhaltlich fundierten Entwicklungsphase befindet. Gerade diese Offenheit für Weiterentwicklung machte das Werkstattgespräch besonders wertvoll, denn es lud gezielt zur kritischen Reflexion, zum Perspektivwechsel und zur Mitgestaltung ein – ganz im Sinne des Formats.

Ausgangspunkt für dieses Projekt war das von Johannes Jungbauer und Ulrich Feeser-Lichterfeld entwickelte Video-Trainingsprogramm „Basics der psychosozialen Beratung“, das bereits seit einigen Jahren in katho-Seminaren eingesetzt wird. Neben Erklärvideos beinhaltet das Programm Beratungssequenzen mit Praxisfällen, in denen unterschiedliche Prinzipien und Techniken der Beratung demonstriert werden. Dabei erarbeiten die von Schauspieler_innen dargestellten Ratsuchenden mit „echten“ Berater_innen vor laufender Kamera Lösungen für ihre Probleme. Einer der Ratsuchenden aus den Videos ist Felix, ein Student, der seit über einem Jahr erfolglos versucht, seine Bachelor-Thesis zu beginnen und sich deswegen sehr belastet fühlt.

„Unser Video-Trainingsprogramm ermöglicht es Studierenden, erfahrenen Profis gleichsam über die Schulter zu schauen und dadurch wichtige Beratungsprinzipien kennenlernen und reflektieren zu können“, erläuterte Prof. Feeser-Lichterfeld. „Doch um die Kunst des Beratens zu erlernen, benötigen sie zusätzlich die Möglichkeit, selbst aktiv zu beraten, z.B. in angeleiteten Rollenspielen.“

Beratung mit KI trainieren, wie angehende Pilot_innen das Fliegen lernen im Flugsimulator?

Vor dem Hintergrund der aktuellen technischen Entwicklungen entstand deshalb die Idee, die notwendigen aktiven Erfahrungen und Lerneffekte auch unter Nutzung von KI zu ermöglichen. „Ähnlich wie angehende Pilot_innen das Steuern eines Flugzeugs im Flugsimulator trainieren, können Studierende möglicherweise beraterische Kompetenzen in Gesprächen mit virtuellen Klient_innen erlernen“, führte Prof. Jungbauer aus.

Und so ging man einen Schritt weiter und entwickelte aus dem Studenten Felix einen KI-gesteuerten Avatar, der auf dem Computerbildschirm zu sehen ist und auf sprachliche Äußerungen reagiert. Die technische Umsetzung erfolgte durch das Team vom DLSC (Digital Learning and Service Center) der katho, an diesem Nachmittag in der Stadtbibliothek vertreten durch Dr. Annett Giercke-Ungermann und Marvin Hackfort. Der virtuelle Felix wurde mithilfe sogenannter Prompt-Steuerung von Marvin Hackfort auf sein Verhalten vorbereitet. Das bedeutet: Statt einer klassischen KI-„Trainingsphase“ verfasste er einen sogenannten Master-Prompt – also eine detaillierte textbasierte Anweisung, die das Verhalten, die Perspektive und die sprachlichen Reaktionen des Avatars bestimmt.

„Ein Master-Prompt ist wie ein Rollenprofil für die KI: Er legt fest, wie sich das Modell verhalten, was es wissen und wie es auf bestimmte Aussagen reagieren soll – in unserem Fall orientiert am Fallbeispiel Felix“, erklärte Marvin Hackfort.

Die sorgfältige Auswertung des Beratungsgesprächs bleibt das Wichtigste

Soweit der theoretische Teil. Im Werkstattgespräch in der Stadtbibliothek erfolgte nun die praktische Erprobung in Form eines öffentlichen Experiments: Nachdem der Avatar Felix auf dem Bildschirm gestartet war, nutzen einige der Teilnehmenden die Möglichkeit, selbst mit „Felix“ zu sprechen. Der erste „Berater“ aus dem Publikum stellte dem Avatar zahlreiche Fragen zu seiner Schreibblockade, die „Felix“ zunächst geduldig beantwortete, dann aber in einen längeren Monolog wechselte, so dass dies den „Berater“ in seiner Rolle verunsicherte. Der zweite Veranstaltungsteilnehmende, der sich in das Experiment traute, versuchte, „Felix“ mit unterschiedlichen Ratschlägen weiterzuhelfen. Dies funktionierte jedoch nur bedingt, denn der Avatar tat unmissverständlich kund, dass er das alles schon ausprobiert habe und dass ihm solche Ratschläge nicht weiterhelfen würden. Eine dritte „Beraterin“ stellte „Felix“, die aus der eigenen Beratungsausbildung bekannte, sogenannte Wunderfrage, bei der die Klientin oder der Klient sich vorstellen möge, das bisherige Problem sei wie von Feen-Hand plötzlich gelöst. Auf die Frage, was für „Felix“ dann anders sei, wenn seine Bachelorarbeit fertig auf dem Schreibtisch liegen würde, reagierte der Avatar ausgesprochen positiv und sprach von ganz neuen Möglichkeiten in seinem Leben.

Die schon in dieser frühen Projektphase erstaunlich realistischen Reaktionen des Avatars lassen hoffen für das angestrebte neue Lehr-Lern-Format, das unbestritten Vorteile haben wird, weil Studierende zeit- und ortsunabhängig ihr Beratungsverhalten üben können. Letztlich, das machten Ulrich Feeser-Lichterfeld und Johannes Jungbauer aber noch einmal klar, wird auch bei dieser Art des Übens die sorgfältige Auswertung der Gespräche immer das Wichtigste bleiben. Hier unterscheiden sich die Trainingsgespräche mit einem KI-Avatar grundsätzlich nicht von denen in klassischen Rollenspielen. Denn am besten kann das eigene Gesprächsverhalten im KI-Avatar-Setting durch videogestützte Selbstbeobachtung, Feedback und konstruktive Kritik anderer Studierender reflektiert und verbessert werden.

Die entscheidende Frage ist nicht, was KI kann, sondern wofür sie sinn- und verantwortungsvoll eingesetzt wird

Die Diskussion um Avatar „Felix“ war an diesem für die weitere Projektentwicklung sehr motivierenden Nachmittag in der Stadtbibliothek engagiert und teilweise auch kontrovers. Während auf der einen Seite erörtert wurde, ob der Avatar auch so weiterentwickelt werden könnte, dass er den Studierenden am Ende jeder Übungseinheit ein Feedback zur Qualität der Beratung geben, womöglich sogar selbst Verbesserungsvorschläge formulieren könnte, äußerten andere Veranstaltungsteilnehmende ihre gemischten Gefühle, wohin diese Entwicklung führen könnte: Braucht es irgendwann womöglich keine echten Menschen mehr für Beratung und Therapie? Merken wir den Unterschied noch? Annett Giercke-Ungermann fasste die Aspekte dieser Entwicklung zusammen: „KI kann in der Beratungsausbildung wertvolle Lernräume eröffnen – aber sie ersetzt keine echte Lehr-/Lernbeziehung. Die entscheidende Frage ist nicht, was KI kann, sondern wofür wir sie sinnvoll und verantwortungsvoll einsetzen wollen.“

 

Prof. Dr. Ulrich Feeser-Lichterfeld

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Aachen, Sozialwesen

Prof. Dr. habil. Johannes Jungbauer

Prof. Dr. habil. Johannes Jungbauer

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