„Facing misery“: Kinderarzt und Katastrophenhelfer stellt seine Aquarelle aus
Es sind Aquarelle in teils leuchtenden Farben, die derzeit auf den Fluren der katho am Standort Münster zu sehen sind: Eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm, eine Krankenpflegerin am Bett einer Patientin, ein Friedhof. Wenn man die Notizen liest, die jedem Bild beigefügt sind, entdeckt man, dass jede dieser Szenen im Kontext einer Katastrophenhilfe oder eines Flüchtlingslagers entstanden ist.
So sagt es auch der Titel der Ausstellung, die am 15. Januar 2025 eröffnet wurde: „Facing misery. Im Angesicht der Not – Begegnungen mit den Opfern von Natur- oder Gewaltkatastrophen“. Die Aquarelle stammen von Prof. Dr. Joachim Gardemann. Als Kinderarzt war er seit 1994 weltweit für das Deutsche Rote Kreuz in Krisengebieten eingesetzt. Im Sudan, in Tansania, Ruanda, Syrien, Jordanien und Mazedonien hat er Kinder in Flüchtlingslagern behandelt. In China und Haiti hat er Betroffene von Erdbebenkatastrophen und in Sri Lanka nach dem Tsunami und zugleich mitten in einem Bürgerkrieg versorgt. In Sierra Leone war sein Team während der Ebola-Epidemie eingesetzt.
Gemalt hat Gardemann schon als Kind: Seine Mutter schickte ihn in einen Malunterricht. Ein Skizzenbuch und ein kleiner Malkasten begleiteten ihn bei jedem seiner Einsätze. Durch seine Frau, einer Diplom-Heilpädagogin und katho-Alumna, kam er in Kontakt mit der Philosophie von Martin Buber und Emmanuel Lévinas. Auch das prägte seine Arbeit bei Kriseneinsätzen, geht es doch beiden darum, im Angesicht des anderen, insbesondere des Menschen in Not, eine Antwort zu geben. „Ein neuerschaffenes Weltkonkretum ist uns in die Arme gelegt worden; wir verantworten es. Ein Hund hat dich angesehen, du verantwortest seinen Blick, ein Kind hat deine Hand ergriffen, du verantwortest seine Berührung, eine Menschenschar regt sich um dich, du verantwortest ihre Not.“ (Martin Buber, Das dialogische Prinzip, Gütersloh 2006, 163)
Facing misery – sich den Mitmenschen in ihrer Notlage stellen
Um Verantwortung und die Bedeutung des Titels „facing misery“ ging es auch im Gespräch mit den Studierenden des Seminars „Armut, Flucht, Migration – Menschheitsthemen anthropologisch/theologisch betrachtet“ von Professorin Andrea Tafferner. Das englische „to face“ steht für etwas, mit dem jemand konfrontiert wird; „face“ steht auch für „Gesicht, Antlitz“. Für Joachim Gardemann verweist der Titel auf mindestens drei Dimensionen:
- Die Betroffenen sehen sich der Not ausgesetzt.
- Wir selber müssen uns der Not dieser Mitmenschen stellen.
- Wir geben den (sonst anonymen) Notlagen in der Welt ein Gesicht – ohne dieses Gesicht zu entblößen.
Gardemann lehrte bis zu seinem Ruhestand an der Fachhochschule Münster am Fachbereich Oecotrophologie internationale Ernährungssicherheit und war Gründer und Leiter des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe. Seine Aquarelle und Porträts würdigen die Begegnungen mit Menschen in äußersten Notsituationen. „Ich möchte nicht nur das Drama darstellen, sondern auch die Anmut, wie es sie in den Krisengebieten auch gibt. Die Menschen behalten ihre Würde – trotz allem Leid, das sie erfahren mussten, trotz ihrer Fluchtgeschichten und Krankheiten. Das möchte ich zeigen und schützen.“
Text: Prof.in Dr. Andrea Tafferner
Fotos: Anja Mai
Zum Weiterlesen
Joachim Gardemann: Humanitäre Hilfe. Begegnungen mit notleidenden Menschen. Mit Aquarellen des Autors, Bern 2022.
Joachim Gardemann: Wissen schafft Hilfe. Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe, Münster 2012.
TIPPDie Ausstellung „Facing misery. Im Angesicht der Not – Begegnungen mit den Opfern von Natur- oder Gewaltkatastrophen“ ist in den Fluren der katho am Standort Münster bis zum 15. Juli 2025 zu sehen.
KONTAKT
Prof. Dr. Andrea Tafferner
Prodekanin / Professorin für Theologie, Sozialphilosophie; Prodekanin
Münster, Sozialwesen