Zeitzeugin Mia Corbey-van Praag: „Ich bin stellvertretend für die hier, die nicht erzählen können“
Seit langer Zeit ist Mia Corbey-van Praag als engagierte Zeitzeugin der Schoah tätig. Immer wieder erzählt sie von ihrer Lebensgeschichte und ihren Erfahrungen. Sie will die Erinnerung an das Verbrechen wachhalten, zur Menschlichkeit aufrufen und ermutigen, gerade heute wachsam zu bleiben und aus der Vergangenheit zu lernen.
Es ist zur festen Tradition geworden, einmal jährlich eine Studienexkursion unter Leitung von Prof. Dr. Rainer Krockauer nach Amsterdam anzubieten und dort ein Zeitzeugengespräch mit Mia Corbey-van Praag durchzuführen. Mitten im Stadtzentrum, auf dem Weg von einem Gedenk- und Erinnerungsort zum nächsten, erzählt sie dann dort ihre besondere Geschichte. Wie sie als jüdisches Kind 1942 als Achtjährige der Gewalt, Verfolgung und Deportation der Nationalsozialisten entkam, indem sie von einem Fluchthelfer aus der Stadt herausgebracht und nacheinander bei drei Familien in Valkenburg, Brunssum und Kerkrade versteckt wurde. Sie hat mit sehr viel Glück überlebt, im Unterschied zum Großteil ihrer jüdischen Familie, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde.
Erstmals Gespräch und Begegnung mit Zeitzeugin in Aachen
Am 12. Oktober folgte die mittlerweile 90-jährige Zeitzeugin, begleitet von ihrer Enkeltochter Sara Corbey, der Einladung der katho und des Vereins „Zeitgesichter – Forum für Zeitzeugenarbeit e.V.“ zum Gespräch und zur Begegnung in Aachen, moderiert von Rainer Krockauer und Johannes Mertens. Die Resonanz auf das Zeitzeugengespräch war groß und das Spektrum des Publikums sehr vielfältig. Darunter waren aktuelle und ehemalige Studierende und Mitarbeitende der Hochschule, Mitglieder des Vereins „Zeitgesichter“ und Menschen aus der Region, die sich dem Thema der Erinnerungsarbeit beruflich und privat verbunden fühlen.
Die Zeitzeugin betonte zu Beginn, dass sie mit ihren Zuhörer_innen und Gesprächspartner_innen in den Dialog treten wolle. Ihr Hiersein sei Ausdruck ihrer Verbundenheit mit den Gastgebenden und Aachen. Sie wolle kein Mitleid, aber Miterleben ihrer Geschichte. Stellvertretend für all die Ermordeten, die nicht erzählen können, und aus Verbundenheit mit ihren Schicksalen, erzähle sie ihre Erfahrungen in der NS-Zeit. Diese habe sie zwar körperlich überlebt, es seien aber viele Narben zurückgeblieben. Bis heute falle es ihr schwer, mit diesen Narben zu leben.
Die Familie van Praag, Eltern und drei Töchter, wurde durch den Krieg regelrecht auseinandergerissen. Mit Unterstützung von Widerstandskämpfern wurden sie bei neun unterschiedlichen Familien aus Limburg versteckt, die sich alle zu dieser Zeit bemühten, ihr Leben zu retten. Besonders in der dritten Gastfamilie wurde ihr nicht nur Schutz, sondern auch die Geborgenheit in der dortigen Familie vermittelt. Deren Zivilcourage, gerade im Umgang mit der Gefahr, von den überall präsenten Nationalsozialisten entdeckt zu werden, haben ihr letztendlich das Leben gerettet. Im Laufe ihrer längeren Erzählung macht sie selber deutlich, dass sie sich an manche emotionale Momente sehr gut und an andere weniger gut erinnern kann. Andere seien wie ausradiert, wie etwa die Erinnerung an das Wiedersehen mit ihren Eltern. Nach dem Krieg sei in der Familie niemals darüber gesprochen worden, was jedes Familienmitglied erlebt habe.
„Die Schrecken des Krieges haben einem normalen Familienleben im Wege gestanden“
Heute pflegt Mia Corbey-van Praag die enge Verbundenheit mit ihrer eigenen, nach dem Krieg gegründeten Familie. Besonders ihre beiden Enkelinnen seien ihr Stütze und Halt im hohen Alter, auch weil sie sich ihre Geschichte angeeignet hätten. Ihre Enkelin, Sara Corbey, die den Ausführungen ihrer Großmutter bei der Veranstaltung aufmerksam zuhörte, wurde am Ende aus dem Publikum gefragt, inwieweit sie durch diese Familiengeschichte geprägt wurde. Sie wollte früh wissen und verstehen, wie es zur Schoah kommen konnte, antwortete sie, und warum Menschen das anderen Menschen angetan hätten. Immer sei sie interessiert daran gewesen, warum ihre Großmutter „diese Story hat“, aber die Großeltern ihrer Freundinnen nicht. Somit kenne sie diese Geschichte aus der Erzählung sehr gut. Sie sei damit aufgewachsen, betont sie zum Schluss:
„It‘s a part of my life. It is in my DNA. – It is, what it is.”
Am Ende des Gesprächs sprachen beide, Mia Corbey-van Praag und ihre Enkelin, erneut die Einladung zum Gespräch und zur Begegnung in Amsterdam im nächsten Jahr aus. Und so wird die Studienexkursion nach Amsterdam im Frühjahr stattfinden und von der katho (Prof. Ulrich Feeser-Lichterfeld) und dem Verein „Zeitgesichter“ (Prof. Rainer Krockauer) angeboten und durchgeführt werden.