Grafeneck – Münster // 1940 – heute
Entwicklung einer kulturpädagogischen Erinnerungspraxis für die Auseinandersetzung mit den NS-‚Euthanasie‘-Verbrechen
Projektsteckbrief
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Laufzeit | 01.04.2024 – 31.12.2025 |
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Projektbeschreibung
Andere Menschen zu entwerten, ist ein spezifischer und heute verbreiteter Modus, um andere wahrzunehmen und zu behandeln. In der sozialwissenschaftlichen Forschung geht man davon aus, dass die Entwertung Anderer dazu dient, sich selbst als aufgewertet zu empfinden. Eigene Identitätsunsicherheiten gelten hierfür als Ursache. Besonders Jugendliche in der ‚Adoleszenz‘ müssen grundsätzlich mit solchen Identitätsunsicherheiten zurechtkommen – und entsprechend selbstverständlich springt bei ihnen der Mechanismus des Entwertens Anderer ein.
Gleichzeitig schildern viele Jugendliche Ausgrenzungserfahrungen, denen Entwertungsmechanismen vorausgingen. Denn dieses Entwerten Anderer kann die Grundlage für Rassismus und weitere Formen der Entmenschlichung bilden und sowohl für die Betroffenen als auch gesamtgesellschaftlich hoch problematische Folgen haben.
Hintergrund des Projekts
Die deutsche Geschichte führt uns das mit den Verbrechen der NS-Zeit drastisch vor Augen. Im Nationalsozialismus (1933-1945) waren die Entwertung und Entmenschlichung Anderer allgegenwärtig und sie hatten fürchterliche Konsequenzen. Gerade deshalb lässt sich in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit viel und vor allem auch Grundlegendes darüber lernen, wie zerstörerisch die Folgen der Entwertung Anderer sein können. Das gilt ganz besonders, wenn diese so weit reicht, dass Menschen ihr Menschsein abgesprochen wird. Der in die Ermordung von Millionen Menschen führende Antisemitismus, die Shoah, der Holocaust, ist hier der bekannteste Fall.
Weitere Opfergruppen waren beispielsweise Sinti_zze und Rom_nja sowie Menschen, die als ‚asozial‘ klassifiziert wurden, und Menschen, die auffällig neurodivers waren, also in kognitiver Hinsicht als unkonventionell wahrgenommen wurden, etwa weil sie mit psychischen Erkrankungen lebten. Sie alle wurden entwertet, als ‚minderwertig‘ entmenschlicht. Die so erzeugte Vorstellung von ihnen als less-than-human-beings ließ das idealisierte Bild von einer ‚arischen Herrenrasse’, das der NS in Szene setzte, erst deutlich hervortreten. Heute erscheint uns dieses Bild abstrus, aber damals konnten sich viele mit dieser Form der eigenen Aufwertung, die mit der massiven Entwertung Anderer einherging, identifizieren.
Am Fall der systematischen, massenhaften Ermordung von Menschen, deren Leben als ‚lebensunwert‘ galt und die als NS-‚Euthanasie’ und auch als ‚Aktion T4‘ bezeichnet wird, schaffen wir in unserem kulturpädagogischen Projekt Erfahrungsräume, die eine Auseinandersetzung mit der massiven Entmenschlichungstendenz des NS ermöglichen. Das Projekt möchte damit zu einer lebendigen Erinnerungskultur beitragen – und den Entwertungs- und Entmenschlichungstendenzen in der heutigen Zeit entgegenwirken.
Das Projekt bezieht sich konkret auf den Tatort Grafeneck auf der Schwäbischen Alb, wo 1940 die systematische Ermordung begann und innerhalb nur eines Jahres mehr als zehntausend Menschen vergast wurden. Und es bezieht sich auf Münster, wo 1941 Predigten, in denen der damalige Bischof Clemens August Graf von Galen die Morde kritisierte, dazu führten, diese systematische Vernichtung vermeintlich ‚unwerten Lebens‘ einzustellen. Das war ein wichtiger Moment des Widerstands gegen die massive Entmenschlichungstendenz des Nationalsozialismus. Dennoch wurden die Morde in der Folge in anderer Form fortgesetzt – dezentral in den Betreuungseinrichtungen durch Verhungernlassen und Übermedikamentierung.
Projektziele
Das Projekt möchte weniger dozieren, als vielmehr Interesse wecken, indem es ermöglicht, eigene Erfahrung mit der Thematik zu machen und sich auf die Geschichte einzulassen. Darüber hinaus schafft das Projekt Räume, die gemachten Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen. Das ist notwendig, um das Gelernte festzuhalten.
Noch wichtiger als das Festhalten ist es, sich und das eigene Erleben des Themas überhaupt zu artikulieren – indem man zu einem sprachlichen Austausch in der Gruppe kommt und indem künstlerische Ausdrucksformen ausprobiert werden. Auf diese beiden Artikulationsformen setzt das Projekt.
Beides findet auch in einem inklusiven, partizipatorischen Setting statt.
Die Projektziele sollen erreicht werden durch:
- Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler_innen
- Veranstaltung von Ausstellungen
- Erprobung eines kulturpädagogischen Ansatzes: Erfahrungsräume am Thema eröffnen, Ausdrucksmöglichkeiten schaffen – vor allem bildkünstlerisch
- Workshops mit Studierenden und Jugendlichen
- Veranstaltung von Videogroßprojektionen
- Schaffung von Öffentlichkeit
- Tagung und Broschüre zum kulturpädagogischen Ansatz
Interessent_innen, die auch gerne einen Workshop machen wollen, können sich gerne bei der Projektleitung melden.
Prof. Dr. Jochen Bonz
Professor
Münster, Sozialwesen
Das Projekt ist eine Kooperation von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) und der Gedenkstätte Grafeneck – Dokumentationszentrum unter Mitwirkung etlicher weiterer Institutionen und Einzelpersonen.
Das Projekt wird in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.